Wie viel Spekulation im Angebot ist zulässig?

22.11.2018

Ein Angebot, das spekulativ so ausgestaltet ist, dass dem Auftraggeber bei Eintritt bestimmter, zumindest nicht gänzlich fernliegender Umstände erhebliche Übervorteilungen drohen, ist nicht zuschlagsfähig. Vielmehr verletzt der betreffende Bieter seine Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn er für eine Position einen Preis ansetzt, der so überhöhte Nachforderungen nach sich ziehen kann, dass aus Sicht eines verständigen Teilnehmers am Vergabeverfahren das Ziel verfehlt wird, im Wettbewerb das günstigste Angebot hervorzubringen, und dem zu einem verantwortungsvollen Einsatz der Haushaltsmittel verpflichteten Auftraggeber nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf ein derartiges Angebot einzulassen.

(BGH, Urteil vom 19.06.2018 – X ZR 100/16)

 

Sachverhalt:

Das klagende Bauunternehmen nimmt die beklagte Stadt nach dem Ausschluss seines Angebots in einem Vergabeverfahren betreffend die Stützmauersanierung am …-Ufer und Vergabe des Auftrags an einen Konkurrenten auf Schadensersatz in Anspruch. Der Streit um den Angebotsausschluss betrifft Einzelpreise des Klägers bei verschiedenen LV-Positionen, z.B.:

  • 01.000120: Anlieferung, Aufbau und Vorhaltung eines Turmdrehkrans (1.767,02 €);
  • 01.000130: Vorhaltekosten für Kran bei witterungsbedingter Unterbrechung für eine Woche (62,89 €);
  • 01.000200: Gerüst nebst An- und Abtransport sowie Hochwasserwartung (68.878,45 €); 
  • 01.000210: Vorhaltekosten für das Gerüst bei witterungsbedingter Verzögerung für eine Woche verlängerter Standzeit (12.678 €);
  • 08.000010 bis 08.000050: Einsatz verschiedener Geräte (LKWKipper 8 t, Frontlader, Bagger, Kompressor und Trennmaschine) zuzüglich Bedienung jeweils für 5 Stunden bzw. 5 m mit Trennmaschine (jeweils 2,05 Euro pro Stunde bzw. ­ in einem Fall – von 9,20 Euro). 

 

Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis. Das Angebot des Klägers war das günstigste. Die Stadt erteilte den Zuschlag jedoch ohne weiteres auf das rund 8.000 Euro teurere, zweitbilligste Angebot.

 

Entscheidung des BGH

Der BGH betont erneut den Grundsatz, dass die Bieter in der Kalkulation ihrer Preise grundsätzlich frei sind. Allerdings haben, abgesehen von den in § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A und § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV geregelten Fällen, auch die öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich ein – durch § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A geschütztes – Interesse daran, dass die Preise durchweg korrekt angegeben werden. Verlagert der Bieter die für einzelne Positionen des Leistungsverzeichnisses eigentlich vorgesehenen Preise ganz oder teilweise in andere Positionen, ist das Angebot auszuschließen (§ 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A). Das hat der BGH aktuell für eine Angebotsstruktur eines Bieters entschieden, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses gegenüber standen. Das indiziert eine solche Preisverlagerung. Kann der Bieter diese Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preisangaben enthält.

 

Im vom BGH entschiedenen Fall hatte der Bauunternehmer mit den auffällig niedrigen, deutlich unter den Kosten liegenden Preisen in den Positionen 01.000120 und 01.000130 sowie 08.000010 bis 08.000050 korrespondierend einen überproportional hohen Preis in der Positionen 01.000210 betreffend die wöchentlichen Vorhaltekosten für das Gerüst angeboten. Das hält der BGH aus den o.g. Gründen nicht für zulässig und bestätigt den Ausschluss.

 

Neu ist, dass nicht mehr der Auftraggeber die Mischkalkulation/Preisverlagerung nachweisen, sondern der Auftragnehmer eine solche widerlegen muss. Das erhöht erheblich die Anforderungen bei der Preisaufklärung (Widerlegung der Indizwirkung!), birgt aber auch ein höheres Risiko für Spekulationen. Nachvollziehbar wäre noch ein Ausschluss gewesen, wenn Positionen tatsächlich korrespondieren (Gerüstkosten und Gerüst-Vorhaltung). Der BGH hat aber hier den höheren Vorhaltekosten des Gerüsts auch geringe Kosten für Geräte gegenüber gestellt und damit den Ausschluss des Angebotes begründet. Damit erhöht sich das Risiko, dass Auftraggeber niedrig verpreiste Positionen höherpreisigen auch ohne Zusammenhang gegenüberstellen, um damit einen Ausschluss zu rechtfertigen.

 

Diese Entscheidung des BGH verschärft das Risiko eines Ausschlusses bei Spekulationen!

 

gez. Thiele

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